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von Anja

Alexei Nawalny und Pablo Neruda

Eine Beerdigung als Demonstration gegen das Unrecht: Trauergottesdienste und Leichenzüge können auch zum Ausdruck politischer Überzeugungen werden. Die Bestattungen von Alexei Nawalny und Pablo Neruda sind Beispiele dafür.

„Man muss Wasser dabeihaben und den Personalausweis bei sich tragen. Es ist besser, ein Handy ohne Daten mitzunehmen und die Nummer des Anwalts. Man sollte auch Tabletten und Binden einpacken, nur für den Fall. Dazu noch ein dickeres Buch, Zahnpasta und eine Powerbank. Und zieht euch warm an…“ Das rät die Journalistin Irina Rastorgujewa ihren russischen Freunden für den Fall, dass sie zu einer Beerdigung gehen. Nicht, weil russische Kirchen kalt sind und die Abschiedsliturgie lange dauert, sondern weil das Risiko eine Verhaftung groß ist. „Es kann sein, dass ihr lange im vergitterten Bus sitzen müsst, es sind nur drei Grad draußen, und er ist nicht beheizt“ legt sie denen nahe, die öffentlich um Alexei Nawalny trauern wollen.

Am 1. März 2014 wurde Nawalnys Leichnam in der Kirche, die der Ikone „Lindere meine Trauer“ gewidmet ist, aufgebahrt. Davor hatten die Polizeikräfte das Gotteshaus inklusive der Zufahrtswege umzäunt. Die Trauernden mussten martialisch gerüstete Kordons von paramilitärischen Polizeieinheiten passieren und Scharfschützen waren auf den umliegenden Dächern in Stellung gegangen. In der Kirche und auf dem Friedhof hatte das Regime Überwachungskameras montiert.
Trotz dieser Drohkulisse kamen Tausende, um Nawalny das letzte Geleit zu geben. Dabei flossen nicht nur Tränen, sondern es wurde auch lautstark daran erinnert, warum Nawalny sterben musste. «Russland wird frei sein, Russland wird glücklich sein», «Nein zum Krieg!» und «Putin ist ein Mörder», «Frieden für die Ukraine! », und «Bringt die Soldaten nach Hause» skandierten seine trauernden Anhänger. Viele vorbeifahrende Autos hupten zur Unterstützung.

Als der chilenische Dichter Pablo Neruda am 25. September 1973 bestattet wurde, geschah etwas Ähnliches. Genau zwei Wochen davor hatte Pinochet durch einen Putsch die demokratisch gewählte Regierung gestürzt und eine Welle hemmungsloser Gewalt entfacht. Durch willkürliche Ermordungen und Folter wurde das ganze Land in eine Todesstarre versetzt. Doch als dann der berühmte Dichter Pablo Neruda starb, kamen ausländische Kamera-Teams ins Land, um die Trauerfeierlichkeiten zu filmen. Dies wurde von den Pinochet-Gegnern genutzt, um ein Zeichen des Widerstands zu setzen.

Ein Zeitzeuge erinnert sich: „Etwa vierzig Jugendliche erwarteten uns schon. Sie kamen uns entgegen, liefen neben dem Sarg her und riefen mit erhobenen Fäusten und rauer Stimme: <Compañero Pablo Neruda...> <Anwesend!> <Jetzt...> <Und ewig!> Das waren die ersten Schreie in der vom Terror erzwungenen Stille…“
Wenn in einer menschenverachtenden Diktatur ein mutiger Mensch stirbt, trauen sich oft auch solche Menschen auf die Straße, die sich davor nicht zu Demonstrationen zu gehen getraut haben. Dass jemand für seine Ideale gestorben ist, setzt offensichtlich Gefühle in uns frei, die uns unsere Ängste überwinden lassen.

Auf „Gedenkenswert“ wurde wenige Stunden nach dem Tod von Alexei Nawalny eine Erinnerungsseite für ihn eingerichtet. Hier können Sie eine virtuelle Kerze für ihn anzünden.