Christel Rudnitzky
* Dortmund, Westfalen 14. September 1934 † Hengersberg, Niederbayern 29. Mai 2021
Zwei Texte, die unsere Mami und Omi in großer Schreibschrift niederschrieb, bevor ihr Augenlicht sie irgendwann vollständig verlassen hat. Zwei Texte über das Licht und das Glück, dessen Du so voll warst, auch wenn es um Dich herum immer dunkler wurde. Deine unendliche und fröhliche Liebe wird uns für immer begleiten. Adieu!
Deine Nicola und Leonard
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Ein Sommer-Tagtraum …
Wie ein Schwippbogen umspannt das Himmelsblau
den sonnigen Sommertag.
Weiße Wolken segeln über den Horizont.
Ich durchwandere die reife Natur.
Vorbei an rauschenden Kornfeldern schreite ich
durch blumenduftende Wiesen.
Ein sanfter Wind umschmeichelt meine Haut:
Zirpende Grillen erfreuen mein Ohr und
flatternde Schmetterlinge meine ermüdeten Augen.
Ich suche Rast unter den ausladenden Ästen
eines Wildkirschenbaums.
Kindheitserinnerungen leben auf.
Wie im Schlaraffenland scheinen mir die köstlichen Früchte
direkt in den Mund zu wachsen.
Ich liege auf der weichen Wiese,
schließe die Augen und lausche der Natur:
es summt und brummt,
es schnattert und flattert,
es gurrt und schnurrt und surrt,
es knackt und knistert,
es zirpt und zwitschert.
Es plätschert von weitem.
Die Natur hat eine eigene Tonsprache.
Ich höre den Sommer.
In meinen Träumen entstehen eigenwillige Tonbänder
in bunten Klangfarben.
Band für Band verdichtet sich.
Sie bilden Kette und Schuß
zu einem traumhaften Klangteppich.
Er trägt mich und hebt mich
und schwebt mit mir in lichte Höhen.
Frei und schwerelos gleite ich
über Wiesen und Wälder.
Jetzt weiß ich, was Glück bedeutet.
Ich bin glücklich.
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Lichtblick
Ich stehe im Dunkeln.
Ich habe die Orientierung verloren
und suche meinen Weg.
Plötzlich – ein Lichtschweif fällt von oben
und bündelt sich in Bodennähe direkt vor meinen Augen.
Sein Strahl richtet sich auf die Zweige eines Baumes.
Ich erkenne einen Traum von Blüten,
so schön und vollkommen,
wie ich sie niemals zuvor sah.
Das Licht hebt sich, Zweig um Zweig.
Wie gebannt bleibe ich stehen. Wie lange?
Ich habe das Zeitgefühl verloren.
Irgendwann wird mir bewußt, daß das unbekannte Licht
nur die linke Seite des Baumes erfaßt hat.
Und fast gleichzeitig spüre ich, daß die Helligkeit
inzwischen die Spitze des Baumes erreicht hat.
Meine verwirrten Gefühle gewinnen wieder Struktur.
Mein Herz beginnt freudig zu schlagen.
Noch scheinen meine Wahrnehmungen zwischen Traum und Wirklichkeit zu pendeln.
Ja wirklich!
Das Licht fällt ganz allmählich auch auf die rechte Seite des Baumes.
Ich werde von dem gleichen Zauber an Blüten ergriffen.
Bevor das Lichtwunder der Nacht den Baum
in seinem ganzen Umfang erfaßt hat,
gewinne ich die Erkenntnis:
Ein kleines Geheimnis sollte bleiben,
denn plötzlich habe ich nur noch einen Wunsch,
so schnell wie möglich dem Morgen entgegen zu eilen,
weil ich meinen inneren Weg gefunden habe.
Das Licht und der Baum waren meine Hilfe,
mich der Zukunft wieder mit Vertrauen zuzuwenden.
Dieses Licht wird jetzt mein Leben begleiten.
Ich weiß wieder, wo ich stehe.
Und wohin ich gehen will.
Ich fühle mich erlöst.
Christel wurde am 5. Juni 2021 im engsten Familienkreis in Hengersberg (Lkr. Deggendorf) beigesetzt. Die lieben Menschen, die ihr Leben begleitet oder ihren Weg gekreuzt haben, sind herzlich eingeladen, in den Kommentaren eine kleine Erinnerung zu hinterlassen und/oder eine Kerze anzuzünden.