"Traurigkeit schärft die Sinne und verhilft uns zu akkurateren Wahrnehmungen" stellt der Psychologe Justin Storbeck fest, "während Glück eher die Erinnerungen verfälscht". Wie kommt es dazu, dass traurige Menschen ihre Umwelt aufmerksamer wahrnehmen und unsere Erinnerungen an ein trauriges Ereignis später so präzise sind?
Ein Experiment zeigt: Probanden, denen ein trauriger Film vorgeführt wird, können sich danach viel besser an Details erinnern, als nach einem Krimi oder einer Komödie.
“Kummer fördert die Konzentration und begünstigt konzentrierteres und reflektierteres Denken" resümiert der Trauerforscher George Bonanno. Und er hat dafür auch eine Erklärung: Jede Stimmungslage aktiviert in unserem Körper Reaktionsmuster, die für die jeweilige Situation besonders hilfreich sind.
Zorn, zum Beispiel, steigert den Adrenalinausstoß. Blut wird in den Kopf gepumpt. Zorn lässt Sie die Fäuste ballen und bringt Sie in Angriffslaune. Da Sie normalerweise nur dann zornig werden, wenn Sie sich in Ihren Rechten missachtet oder angegriffen fühlen, ist es durchaus sinnvoll, dass Ihr Körper in solchen Momenten Verteidigungsbereitschaft signalisiert.
Kummer hat die gegenteilige Funktion von Zorn: Wenn Sie bekümmert sind, sprechen Sie leiser. Sie nehmen eine gebückte Körperhaltung ein. Dadurch signalisieren sich ein Bedürfnis nach Schonung. Ihr Körper zeigt an, dass Sie sich vorübergehend aus aktiven Rollen zurückziehen wollen und erst einmal mit sich selber beschäftigt sind.
Genau das ist die Situation trauernder Menschen und ganz offensichtlich schärft diese Wendung nach innen den Blick für Details. Trauernde sind in einer besonderen Weise sensibel.
Sie können sich oft noch Jahre nach der Bestattung an Details erinnern: An das Geräusch, als der Sarg beim Herablassen an die Grabwand geschrammt ist. An die Schlammspritzen an der Hose eines Trauergastes. Daran, dass eine von insgesamt zwölf Neonröhren in der Aussegnungshalle leicht geflackert ist.
Trauernde sind auch mit Blick auf das Verhalten anderer Menschen besonders sensibel. Eine achtlose Formulierung, die sie im “Normalzustand” einfach überhört hätten, klingt aufeinmal intensiv in ihnen nach und tut ihnen weh. Sie sind besonders aufmerksam für “atmosphärische Vibrationen”, d.h. spüren zum Beispiel Ungeduld oder Unbehagen bei anderen Menschen viel intensiver, als vor dem Trauerfall.
Freundinnen und Kollegen ist diese spezielle Empfindlichkeit oft nicht. Das kann zu Missvertändnissen führen.