Die Trauerexpertin Kerstin Lammer schildert an einem Beispiel, dass es notwendig sein kann, den Tod - im wahrsten Sinne des Wortes - zu begreifen. Hier lesen Sie, was Lammer in ihrer Zeit als Krankenhausseelsorgerin erlebt und dadurch über das Abschiednehmen gelernt hat.
"Die Krankenschwester bittet mich, zur Notaufnahme zu kommen. Ein noch nicht einjähriges Kind ist am plötzlichen Kindstod gestorben, die Reanimation nicht gelungen. Die Schwester möchte, dass ich die Mutter beruhige und dazu bewege, nach Hause zu gehen.
Die junge Mutter läuft im Warteraum rastlos umher, <Mein Baby, mein Baby, mein Baby!> Sie schlägt ihren Kopf an die Wand. Sie bückt sich und schaut unter Stühle, sie sucht – <Mein Baby!> Und es ist ganz klar: Die Frau muss nicht beruhigt und nach Hause geschickt werden; sie muss zu ihrem toten Kind.
Ich bringe sie zum Totenbett. Sie fliegt auf den kleinen Körper zu und nimmt ihn hoch. Sie spricht mit ihm, schüttelt den Körper, schreit ihn an. Sie will ihn zum Leben erwecken, vergeblich. Dann werden ihr die Knie weich und sie sinkt zu Boden. Ich fange sie auf und halte sie und helfe ihr wieder hoch. Schütteln, Schreien, Schlagen, Zusammensinken. So geht es wieder und wieder, dreimal. Dann legt sie den Körper des Kindes auf die Bahre, streichelt ihn leise und sagt: <Du bist ja so kalt…>
<Ja> sage ich, <sie ist kalt. Ihre kleine Tochter ist tot. Es tut mir so leid!>
Still fährt die Frau fort, den reglosen Körper zu streicheln. Und langsam begreift sie den Tod ihres Kindes.
(Quelle: Kerstin Lammer, Trauer verstehen, Heidelberg 2014, S. 81)
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