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von Rainer Liepold

Weihnachten als Herausforderung für Trauernde

Ein Interview mit der Psychologin Frauke W., 69 Jahre alt und im März überraschend nach 37 glücklichen Ehejahren verwitwet.

Es ist für Sie das erste Weihnachten ohne Ihren Ehemann?

Ja, das wird hart! Also, ich versuche, das als Herausforderung zu sehen: Wie kann ich damit umgehen, dass ich im Kopf ganz viele Bilder aus der Vergangenheit habe, aber es in diesem Jahr ganz anders sein wird? Die letzten 37 Jahre war Weihnachten immer ein Fest, das ich ganz intensiv zusammen mit meinem Mann erlebt habe. Jetzt ist er tot. Und ich spüre, dass ich nicht einfach wie früher weitermachen kann, nur halt ohne ihn.

Weihnachten ist ein Familienfest…

Das war es, ja! Und da unsere Ehe kinderlos geblieben ist, war es bei uns vor allem ein „Mein-Mann-und-ich-Fest“. Wir haben beide über das Jahr viel gearbeitet und uns Weihnachten dann immer ganz bewusst zurückgezogen und Zeit miteinander verbracht. Doch das ist jetzt keine gute Idee für das kommende Fest: Sich zu zweit zurückzuziehen, das hat der Liebe einen Raum eröffnet. Aber wenn ich mich alleine zurückziehe, dann bin ich einfach nur einsam!

Also wollen Sie sich bewusst dieses Jahr nicht zurückziehen?

Das ist der Plan, ja! Ich habe mir schon im September vorgenommen, in eine Mette mit einem tollen Chor zu gehen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag war dann ein Konzertbesuch geplant. Dazwischen wollte ich eine Schneeschuhwanderung machen und hatte schon geguckt, welche Hütten offen sein werden. Ich wollte ganz bewusst „raus“…! Aber das zerschlägt sich ja jetzt gerade alles.

Wegen Corona?

Na klar! Auf einmal wird das Sich-Zurückziehen zum Pflichtprogramm. Das ist für trauernde Menschen besonders übel.

Sie sind Psychologin und gehen mit so einer Situation reflektiert um...?

Das würde ich gerne… - aber meine tollen Pläne klappen ja jetzt größtenteils nicht! Corona ist sozusagen nochmal ein Nachtreten des Schicksals. Erst stirbt überraschend mein Mann. Und dann überrascht uns dieser Virus auch noch zusätzlich mit Einschränkungen, wie sie noch nie da waren. Du kriegst sozusagen zweimal das Schicksal auf dem Tablett serviert. Zweimal hingeknallt, dass Dein Leben nicht planbar ist und dass Glück kein Besitz ist.

Weihnachten ist also für Trauernde eine besonders schwierige Zeit und Corona macht es ihnen in diesem Jahr nochmal schwieriger?

Abschiede gelingen einfacher, wenn die Rahmenbedingungen ein gutes Loslassen ermöglichen. Am Ende des Zweiten Weltkrieges, zum Beispiel, da haben Flucht und Elend oft dazu geführt, dass gar kein Raum dafür war, die Toten zu beklagen und ordentlich zu bestatten. Es gibt eine Reihe von Studien, die besagen, dass dadurch das Risiko einer Traumatisierung bei den Angehörigen deutlich erhöht war.

Und heute erhöht Corona das Risiko, das Trauerprozesse nicht auf gesunde Weise bewältigt werden?

Diese Neigung zur sozialen Isolation ist gefährlich, ja! Alleine schon, wenn ich mir die Trauerfeier für meinen Mann vor Augen führen: Da standen in der Halle die Stühle mit Abstand, immer 1,5 Meter, gleichmäßig verteilt. Das schafft eine Distanz, die in dieser Situation atmosphärisch echt belastend ist. Und mir ist die Halle gleich noch ein paar Grad kühler vorgekommen, als sie ohnehin war.

Jetzt frage ich Sie nicht als frisch verwitwete Trauernde, sondern als Psychologin: Wenn die Rahmenbedingungen schon so bitter sind, was raten Sie Trauernden dann für dieses Corona-Weihnachtsfest?

Ich rate den Trauernden bewusst nach gangbaren Wegen zu suchen. Vieles geht wegen Corona nicht, aber manches dann eben doch. Ich hatte am Anfang von meinen Plänen erzählt. Mette und Konzert gehen wohl nicht, eine Schneeschuh-Wanderung aber schon. Trauerwege erfordern Flexibilität. Wenn es nicht mehr so weitergeht, wie davor, dann musst du einen neuen Weg finden. Und Corona versperrt uns ja Gott sei Dank nicht alles. Manchmal tun sich ja vielleicht sogar neue Türen auf?

Wie meinen Sie das?

Also, in meinem Fall, da war das so, dass mich eine ehemalige Kollegin nach den Feiertagen zum Kaffeetrinken eingeladen hat. Mit dieser Kollegin hatte ich vor Jahren einen ernsthaften Konflikt und seitdem nur sehr formelhaft-oberflächlichen Kontakt. Wir sind wie gepanzert miteinander umgegangen. Ich bin mir sicher: Unter normalen Umständen hätte sie mich nicht eingeladen und ich hätte auch nicht zugesagt. Aber jetzt – der Tod meines Mannes und Corona – da springen wir über unsere Schatten. Ich gehe mit dem guten und sichern Gefühl zu ihr, dass wir uns versöhnen werden.

Die Krise ist irgendwie immer auch eine Chance?

Grundsätzlich ist der Mensch dafür geschaffen, auch mit Trauer und anderen existentiellen Krisen gut umgehen zu können. Als Psychologin weiß ich das. Aber als Trauernde sehe ich das nicht immer so. Eigene Trauer fühlt sich anders an, als das, was in wissenschaftlichen Büchern über Trauer steht. Aber an einer Stelle gehen meine Gefühle und meine professionellen Einsichten Hand in Hand: Sich in Hilflosigkeit einzurichten, das führt in Depressionen. Ich möchte mich weiterhin als Akteurin, als souverän in meinem Handeln erleben. Und das wäre auch mein Rat für andere Trauernde: Trauen Sie sich zu, dass Sie Ihren Weg finden!